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Der Fährmann, der Wolf, die Ziege und der Kohl

Von Maralde Meyer-Minnemann *

António Lobo Antunes liest aus seinem neuen Roman „Anweisungen an die Krokodile“, heißt es in der Ankündigung des Literaturhauses für den 18. Oktober. Marlen Diekhoff liest den deutschen Text, Maralde Meyer-Minnemann übersetzt, Wolfram Schütte moderiert.

Maralde Meyer-Minnemann übersetzt? Aber doch nicht abends im Literaturhaus, vor versammeltem Publi-kum. Das mache ich ganz in Ruhe, umgeben von Nach-schlagewerken, in meinem Arbeitszimmer. Da habe ich auch die „Anweisungen für die Krokodile“ übersetzt. Satz für Satz habe ich das portugiesische Werk ins Deutsche übertragen, den Text von einem Ufer zum anderen übergesetzt wie ein Fährmann seine aus einer Ziege, Kohl und einem Wolf bestehende Ladung und mich dabei immer wieder grübelnd gefragt, wie das Problem mit der Ziege, dem Kohl und dem Wolf zu lösen sei. Oder anders gesagt, wie die Worte, die Syntax, die Poesie, die Assoziationen, der Klang von einer Sprache in die andere zu übertragen sind, ohne dass zuviel vom Original verloren geht. Ich habe nachgeschlagen, überlegt, Lösungen gefunden, wieder verworfen, den Text immer wieder korrigiert, bis der Abgabetermin da war und ich die Übersetzung aus der Hand geben musste, obwohl ich immer noch Zweifel hegte, ob ich bei meinen Entscheidungen für eine Lösung immer die richtige Wahl getroffen hatte.

Ich werde also nicht übersetzen, sondern konse-kutiv dolmetschen, die Worte des Autors sammeln und gleichsam in einem Sack über den Fluss tragen, wobei die Löcher des Sackes so klein oder groß sind wie mein Kurzzeitgedächtnis an dem Abend gut oder schlecht ist. Und damit ich heil über den Fluss komme, werfe ich mir Trittsteine hinein, kurze Notizen, die ich mir gemacht habe und über die ich wie von Stein zu Stein hinüber-springe. Und wenn ich drüben angekommen bin, sind hoffentlich keine Gedanken aus dem löchrigen Sack gefallen... Ich muss mich bei dieser Disziplin der Sprach-vermittlung zwar beeilen, kann aber beim Wieder-zusammensetzen der Gedanken des Autors die Geschwin-digkeit selbst bestimmen. Natürlich darf ich mir nicht zu viel Zeit lassen, denn die Zuhörer sind gespannt und der Autor möchte weiterreden.

Da es im Literaturhaus keine Dolmetscherkabine gibt und die Zuhörer keine Kopfhörer bekommen, werde ich mich nicht in der dritten und schnellsten Disziplin der Sprachvewandlung betätigen, dem Simultandol-metschen. Das würde für mich bedeuten, dass ich von der Geschwindigkeit des Gesprochenen wie im Fluge über den Fluss gezogen würde. Dabei müsste ich mich gut festhalten, das heißt, gleichzeitig hören, denken, sprechen, aber nicht zu viel nachdenken oder womöglich noch zweifeln. Denn der kleinste Zweifel kann zur Folge haben, dass der Griff sich lockert, ich abstürze und in den Fluss falle, der mich erbarmunglos mitreißen und an der falschen Stelle des Ufers absetzen würde.


* Maralde Meyer-Minnemann ist Hamburgerin mit portugiesischer (Bluts- und Seelen)Verwandtschaft. Sie ist vereidigte Übersetzerin und Dolmetscherin für Portugiesisch und Spanisch. Besondere Verdienste hat sie sich mit der Übertragung der Romane des ebenso genialen wie schwierigen Autors António Lobo Antunes erworben, was durch eine Reihe von hohen Auszeichnungen honoriert wurde (Übersetzerpreis der Ges. Portugal-Frankfurt 1997, Helmut M. Braem-Preis 1998 u.a.)




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Portugal-Post Nr. 8 / 1999


Nach der Lesung (Foto vom 13.5.1997) :
Guilherme de Almeida-Sedas,
Barbara Mesquita, Teresa Salema,
Karin von Schweder-Schreiner, Peter Koj,
Maralde Meyer-Minnemann,
Erika Werner (HÖB), Hélia Correia