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Politisch Lied – Garstig Lied
Zum politischen Hintergrund des Fado

Von Peter Koj

Zu Amálias politischer Einstellung, vor allem ihrer Beziehung zum Salazar-Regime, hört und liest man die widersprüchlichsten Dinge. Gleiches lässt sich über den Fado ganz allgemein sagen. Angeblich soll Salazar den Fado als Ausdruck von Dekadenz und Resignation abgelehnt, ja sogar verboten haben. Andererseits gehört der Fado zu den drei staatstragenden „F“ des salazaristischen Portugals: «Fado, Futebol e Fátima» (dass sich nach dem 25 de Abril daran nicht viel geändert hat, zeigt José António Saraiva in einem unmittelbar nach Amálias Tod im «Expresso» veröffentlichten Leitartikel).

Was stimmt nun? Der wahre Tatbestand ist – wie so häufig – sehr viel differenzierter und muss im Zusammenhang gesehen werden. Der Fado ist seinem Ursprung nach proletarischer Herkunft, sowohl in der „afro-brasilianischen“ Tradition, die sich im Prostituierten- und Ganovenmilieu des Lissabonner Hafens fortsetzt, als auch in seinem ruralen Ursprung der ziehenden Sänger/innen, die häufig blinde Bettler/innen waren. Durch die Landflucht entstand im 19. Jahrhundert in Lissabon ein starker Zuzug von ungelernten Arbeitern, die sich vor allem in der Nähe des Hafens (Alfama, Bairro Alto, Bica, Madragoa) niederließen, wo sie noch am ehesten auf Arbeit hoffen konnen. Dieses neue Stadtproletariat war geprägt durch ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das sich in gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen und in Freizeitclubs (sociedades recreativas) manifestierte.

In diesen sociedades wird zusammen gegessen und getrunken, Karten gespielt, diskutiert und ... Fado gesungen. Noch heute! Die Texte dieser Fados spiegeln natürlich die soziale Situtation des Lissabonner Stadtproletariats wider, weswegen sie auch „Arbeiterfados“ (fados operários) genannt werden. 1912 gibt ein gewisser Avelino de Sousa ein Pamphlet heraus («O Fado e os Seus Censores»), in dem er den Fado als Mittel des Klassenkampfes propagiert. Dass mit dieser politischen Ausrichtung die Ende der 20er Jahre an die Macht kommende Diktatur nicht einverstanden sein konnte, liegt auf der Hand.

Das salazaristische Regime, wohl bemerkend, dass der Fado nicht auszurotten war, betrieb ein sehr geschicktes Spielchen. Der fado sentido als Ausdruck von Schicksalsgeschlagenheit und Weltschmerz wurde systematisch diffamiert als canção dos vencidos (Gesang der Besiegten). Unter diesem Titel lief eine regelmäßige Sendung im portugiesischen Staatsradio (Emissora Nacional) von einem gewissen Luís Moita, der diese Sendereihe 1936 auch in Buchform herausgab. Die anderen Fados der beherzteren Art (fado Mouraria, fado corrido) wurden politisch gereinigt, d.h. man filterte die konservativen und nationalistischen Elemente heraus. Paradebeispiel ist das von Amália unsterblich gemachte «Uma Casa Portuguesa», das ausländische Touristen (und Portugiesen!) noch heute fröhlich mitsingen, ohne sich der ideologischen „Botschaft“ der salazaristischen Propaganda bewusst zu werden (= die Portugiesen sind arm und bescheiden, aber trotzdem glücklich).

Mit dem 25. April 1974 schlug das Pendel prompt in die andere Richtung und der Fado hatte ein paar bange Jahre zu überstehen. So prangerte vor allem António Osório in seinem Buch «A Mitologia Fadista» (1974) den Fado als reaktionär an, und es mehrten sich die Stimmen, die den Fado abschaffen wollten. Gott sei Dank gab es auch ein paar kühle Köpfe unter den ideologischen Heißspornen. So erinnerte Luís Cília, selbst einer der wichtigsten politischen Sänger der Zeit (cantores de intervenção), in einem Interview der Zeitschrift «Cinéfilo» vom 29.4.74 daran, dass z.B. Alfredo Marceneiro (gest.1982), der ja eigentlich Alfredo Duarte hieß und dessen Künstlername die Bezeichnung seines Berufes ist, den er trotz seiner Erfolge als Fadosänger nie aufgegeben hat (marceneiro = Tischler), der eigentliche Revolutionär sei und man seinen Fado demnach als fado revolucionário bezeichnen muss.

Inzwischen haben sich die Gemüter beruhigt und seit Mitte der 80er Jahre hat man begonnen, den Fado ohne ideologische Scheuklappen zu sehen und wissenschaftlich zu erforschen. Dies geschieht vor allem an der Universidade Nova de Lisboa. Wichtige Namen auf diesem Sektor sind: Joaquim Pais de Brito, António Firmino da Costa, Maria das Dores Guerreiro, Salwa El-Shawan Castelo Branco, Eduardo Sucena (sein Buch «Lisboa, o Fado e os Fadistas» von 1992 gilt als das Standardwerk über den Fado) und Ruben de Carvalho («As Músicas do Fado», 1994). Höhepunkt dieser Bemühungen war zweifellos die Ausstellung «Fado. Vozes e Sombras» im Museu de Etnologia in Belém (1994). Seit den 90er Jahren hat zudem eine sehr rege verlegerische Tätigkeit von Fado-CDs eingesetzt, sowohl von historischen Aufnahmen als auch von Neueinspielungen. Hier sind vor allem die Firmen Valentim de Carvalho, Movieplay (verantwortlich der große Fado-Experte Manuel Simões) und Interstate Music (unter dem Etikett «Heritage e Tradisom»).

Und wenn es noch eines Beweises bedarf, dass die Zeiten der politischen Grabenkämpfe vorbei sind und der Fado nicht mehr einseitig ideologisch instrumentalisiert wird, so seien nur die beiden ungleichen Pärchen erwähnt, die sich über alle politischen Lager hinweg in der Liebe zum Fado gefunden haben: der Dichter und Publizist Vasco Graça Moura, der sich zur Zeit von Cavaco Silva als politischer hard-liner profilierte, hat 40 Fadotexte für den eher dem linken Spektrum zugehörenden fadista Carlos do Carmo geschrieben (erschienen bei Quetzal) und umgekehrt hat der konservative Fadosänger João Braga (er bezeichnet sich selbst als «anarquista da direita»), der aus politischen Gründen 1974-76 Portugal den Rücken kehrte, Fadotexte des Dichters Manuel Alegre vertont, der vor dem 25 de Abril lange im Exil lebte und als einer der großen Wegbereiter der „Nelkenrevolution“ gilt.





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Portugal-Post Nr. 9 / 2000


Fado-Plakat von 1910