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Tudo isto é Fado? Oder: Was kommt nach Amália?

Von Peter Koj

António Chainho gilt vielen als der augenblicklich beste Fadogitarrist. Zumindest ist er der international renomierteste (es gibt eine sehr schöne Einspielung von ihm mit dem London Symphony Orchestra) und der experimentierfreudigste (bekannt wurde seine Begleitung des portugiesischen Saxophonisten Rão Kyao auf der LP Fado Bailado). Das hängt sicher damit zusammen, dass António Chainho nicht durch die strenge Lissabonner Schule gegangen ist, sondern sich in seinem alentejanischen Heimatdorf S. Francisco da Serra (Concelho de Santiago do Cacém) das Gitarrespiel selbst beigebracht hat. Als eines Tages der Lissabonner Gitarrist José Rosa in der Kneipe von Antónios Vater auftauchte und den Jungen spielen hörte, soll er verblüfft ausgerufen haben: «O sacana do rapaz tem habilidade!» („Der Teufelskerl hat Talent!“) Der Spruch geht heute noch im Dorf um, und der Weg des kleinen António war vorgezeichnet.

Es folgte eine ungewöhnlich erfolgreiche Karriere mit einer eigenen Sendung in der Emissora Nacional, einer Plattenproduktion von 15 (!) Platten (Singles) pro Monat mit den verschiedensten Fadosängern, am liebsten jedoch mit Carlos do Carmo und seit den 80er Jahren auch Soloplatten mit eigenen Kompositionen. Den größten Erfolg jedoch hatte er im letzten Jahr mit seiner CD A Guitarra e Outras Mulheres, die sogar für den diesjährigen „Grammie“ vorgeschlagen ist (das ist der „Oscar“ der Phono-Industrie). Der etwas geheimnisvolle Titel gibt das musikalische Programm der LP an: sie enthält 12 Kompositionen von Chainho, abwechselnd ein Solostück auf der Gitarre (für Chainho eine Frau/Ehefrau!) und ein Fado-Gesangsstück, das jedesmal von einer anderen Sängerin interpretiert wird. Es sind also insgesamt sechs Frauen, und es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob sich unter ihnen vielleicht eine Nachfolgerin für Amália findet.

Die Brasilianerin Elba Ramalho, die den schönen Titel Juntei-me à voz verdadeira (nach einem Text von Lídia Jorge) singt, dürfte diese Rolle schon mal nicht anstreben. Aber erstaunlich ist es schon, dass es immer wieder brasilianische Künstler gibt, die sich am Fado versuchen, wie z.B. Chico Buarque oder Maria Bethânia, auf deren CD Imitação da Vida sich der bekannte Fado Meu Amor é Marinheiro findet. Auf Chainhos CD sollte sogar eine zweite Brasilianerin vertreten sein, die auch hierzulande sehr bekannte Marisa Monte. Sie war jedoch verhindert, und für sie sprang in letzter Minute Nina Miranda ein. Doch diese, obwohl Portugiesin, kommt für eine Amália-Nachfolge ebenso wenig in Frage. Sie ist die Lead-Sängerin der Popgruppe Smoke City und durch ihre Präsenz sollte offensichtlich auch ein jüngeres Publikum angesprochen werden.

Anders sieht der Fall bei den nächsten beiden Interpretinnen aus, die wohl die Stimme, vielleicht auch das feeling für den Fado haben, aber eine andere Karriere verfolgen: Filipa Pais, Sängerin der Gruppe Lua Extravagante und Solosängerin (sehr schön ihre CD l’amar) singt den Fado da Resistência (mit einem wunderschönen Text von Hélia Correia) ebenso hinreißend wie Teresa Salgueiro von den Madredeus Chainhos Fado Nocturno. Aber ob dies ein erster Schritt zu einer Fado-Karriere sein wird, muss bezweifelt werden. Eher könnte dies bei den letzten beiden Sängerinnen der Fall sein. Marta Dias hat sich neben ihrer Tätigkeit als Sängerin in den unterschiedlichsten Gruppen wie Ithaka, General D, Santos e Pecadores schon immer mit dem Fado beschäftigt, was man ihrer Stimme, vor allem in den unteren Lagen, anmerken kann. Und die junge Sofia Varela, ebenso wie Chainho aus dem Alentejo stammend (Serpa), ist sogar die einzige „reine“ fadista auf dieser CD, die aber erst durch einen Auftritt auf der EXPO ‘98 auf sich aufmerksam gemacht hat. Der von ihr vorgetragene fado corrido «Tenho Ruas no Meu Peito» zeigt eine frische, sauber intonierende Stimme, lässt für meine Begriffe aber wenig Rückschlüsse auf ihre wahre Fadobegabung zu, die sich erst im getragenen fado sentido entfalten kann.

So gibt es eine Reihe junger Talente, denen allerdings noch die Ausstrahlung des großen Vorbildes Amália fehlt. Da wäre zuerst Maria Ana Bobone (25 Jahre) zu erwähnen, die gelegentlich als eine neue Amália gehandelt wird. Doch die paar fados corridos, die ich von ihr kenne, sind ähnlich „brav“ wie der von Sofia Varela. Mehr nicht! Allerdings habe ich die letze, hoch gelobte CD von Maria Ana Bobone (Senhora da Lapa) noch nicht gehört, auf der sie das strenge Fadoschema sprengt (Einsatz des Saxophons,z.B.). Auch die aus Frankreich stammende Benvinda Ferreira (39 Jahre), die unter dem Künstlernamen Bévinda in ihrem heimatlichen Paris, wo ihre Mutter eine Kneipe betreibt, es zu einem gewissen Ruhm gebracht hat, dürfte keine ernsthafte Kanditatin für die Amália-Nachfolge sein. Mit eher zarter Stimme singt sie eine reizvolle Mischung von Fado, Chanson und Bossa-Nova. Ergebnis: 3 CDs, wovon die zweite (Pessoa em Pessoas) besonders interessant ist (Vertonung von Pessoa-Gedichten). Portugiesische Sängerinnen mit einer kraftvollen Ausstrahlung gibt es durchaus, doch haben sie nichts oder wenig mit dem Fado zu tun: z.B. Amélia Muge (engagierte, von Volksmusik, insbesondere aus Moçambique, beeinflusste Liedersängerin und -macherin), Maria João (mod. Jazz und experimenteller Ausdrucksgesang), Sara Tavares (Mischung aus Gospel und kapverdischer Musik).

Wenn es um Amálias mehr oder weniger direkte Nachfolge geht, müssen zwei Namen genannt werden, die allerdings nicht auf Chainhos CD vertreten sind: Mísia und Dulce Pontes. Beide haben immer wieder Amália-Titel im Repertoire, brechen aber gleichzeitig in ihrer Interpretation mit der durch Amália – wie es scheint – fest geprägten Fadotradition. Über Mísia und ihre Auftritte ist schon viel Positives geschrieben worden, auch in unserer Portugal-Post, und sicher schließt sie in vielem enger als Dulce Pontes an die klassische Fadotradition an. Trotzdem möchte ich hier für Dulce Pontes eine Lanze brechen. Dass sie z.B. auf ihrer CD Lagrimas gleich 4 Amália-Titel aufgenommen hat (Canção do Mar, Povo Que Lavas No Rio, Lágrima, Estranha Forma de Vida) ist kein ausreichender Grund, aber ein bewusst gesetztes Zeichen. Wichtig ist vielmehr, wie sie diese Titel interpretiert und ob das noch Fado ist.

Wenn wir die weiteste Definition nehmen, die von dem bekannten Interventionssänger José-Mário Branco stammt, der jetzt Produzent des jungen Fadotalentes Camané ist, so kann die Frage nur mit „ja“ beantwortet werden. In einem Interview sagt er: «O fado tem a ver com o estilo básico do canto e com um balanço rítmico que eu aproximo imenso do tango e do blues: os retardos, os rubatos... No fundo, o que impera aí é a necessidade absoluta de fazer passar através da palavra cantada uma carga emocional que está a ser vivida naquele momento.» (Expresso, Revista do 23 de Abril de 1995, p.97) Zu deutsch: „Der Fado hat zu tun mit dem grundlegenden Stil des Gesanges und mit einer rhythmischen Schwebung, die ich ganz in die Nähe des Tangos und des Blues bringe: die Retardandi, die Glissandi... Entscheidend ist hier im Grunde die absolute Notwendigkeit, durch das gesungene Wort die emotionale Fracht rüberzubringen, die man in diesem Augenblick (er-, durch)lebt.“

Und genau das geschieht, wenn Dulce Pontes z.B. Canção do Mar oder Lágrima singt. Wie souverän sie sich des Themas bemächtigt, selbst in höchsten Lagen noch kraftvoll moduliert, die (für J.-M. Branco so wichtigen) rhythmischen Akzente bringt und ihre Emotionen direkt in Musik umsetzt, das ist schon atemberaubend. Selbst die Spanier, die sonst eine ablehnende Haltung gegenüber dem Fado einnehmen und diesen gerne als „flamenco impotente“ bezeichnen, bescheinigten Dulce auf ihrer Konzerttournee durch die spanischen Großstädte, sie habe den portugiesischen Fado aus der Sackgasse der Amália-Tradition herausgeführt («En Portugal, cantar a Amália Rodrigues estaba casi prohibido») und zu neuem Selbstbewusstsein verholfen («La música portuguesa ha superado su complejo de inferioridad»).

Was den klassischen Fadoliebhaber natürlich stören muss, ist die Instrumentierung der von Dulce Pontes intonierten Amália-Fados. Natürlich gibt es den tradionellen guitarra und den viola (Luís Pontes und Paulo Jorge, die auf dem Label provozierend als «dois fadistas do Séc. XXI» vorgestellt werden). Doch darüber hinaus wird mit allen Tricks der modernen Tonstudio-Technik operiert, mit Hall, elektronischen Verfremdungen, ausgeklügelter Perkussion, raffinierten Überblenden. Aber, wie ich meine, das Ergebnis lässt aufhorchen und haucht den alten Themen neues Leben ein. Das gleiche gilt auch für die von Dulce Pontes für diese CD ausgewählten Volkslieder (z.B. Laurindinha) und das Lied von José Afonso Os Índios da Meia Praia. Übrigens kommt auch António Chainho auf seiner CD nicht mit der „klassischen“ Begleitung aus; doch seine Streichergruppen und Bläsersätze wirken vergleichsweise etwas altbacken und bringen keinen zusätzlichen musikalischen Gewinn für den Fado. Auch Mísia erweitert das klassische Gitarrenduo im Hintergrund durch E-Bass, Akkordeon, Geige u.ä. Und selbst Amália hat auf diesem Sektor schon experimentiert, z.B. Fados zusammen mit dem amerikanischen Jazz-Trompeter Don Byas eingespielt. Also: tudo isto é fado?!





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Portugal-Post Nr. 9 / 2000





Foto: Beiheft zur CD