Buchtipp des Monats – April 2012

Albert Vigoleis Thelen und Teixeira de Pascoaes – eine deutsch-portugiesische Freundschaft der besonderen Art

Es ist zu berichten von zwei in tiefster Seele verbundenen literarischen Gestalten des 20. Jahrhunderts, deren Schicksale jedoch nicht unterschiedlicher hätten sein können: hier der mittellose deutsche Schriftsteller und Übersetzer Albert Vigoleis Thelen (1903-1989), ständig auf der Flucht vor den politischen Systemen, dort der wohlhabende portugiesische Adlige, der sich zeitlebens kaum von seinem Herrengut in der Nähe von Amarante fortbewegte.

Teixeira de Pascoaes (1877-1952) ist hierzulande kaum bekannt. Man weiß allenfalls von ihm, dass er in seinen Werken einen „modernen“, für die iberische Halbinsel typischen Mystizismus propagiert hat, der in Anlehnung an das portugiesische Zauberwort saudade (nicht im flachen Sinne von Heimweh, sondern als metaphysischer Weltschmerz und Sehnsucht nach dem Unerreichbaren) saudosismo genannt wird. In seinem eigenen Land hat Pascoaes damit wenig reüssiert, weil einerseits sein saudosismo stark atheistische Züge trug (dem so genannten ateoteismo , den Thesen eines Saramago, z. B. in Das Evangelium nach Jesus Christus nicht unähnlich) und anderseits bald nach ihm ein Größerer kam, der dieser spezifischen Weltsicht in seiner Dichtung sehr viel wirkungsvoller Ausdruck verlieh als Pascoaes in seiner weitschweifigen Prosa, nämlich Fernando Pessoa.

Ihre erste Begegnung fand – wie wir durch Thelens Roman Die Insel des zweiten Gesichts (1953) erfahren – auf kuriose Weise statt: Auf Mallorca, wohin das Ehepaar Thelen 1931 vor den Nazis geflüchtet war, stieß Thelen auf die spanische Übersetzung von Pascoaes' Paulus-Roman. Diese Lektüre veränderte sein Leben total. Er war fasziniert vom Werk des portugiesischen Saudosisten, und er ruhte fortan nicht mehr, das Pascoaes'sche Werk außerhalb Portugals bekannt zu machen. Er selbst übersetzte die Romane Pascoaes' über Paulus, Napoleon und Hieronymus ins Deutsche und Holländische und sorgte bei den Verlagen für ihren Druck.

Als Ende der Dreißigerjahre der Spanische Bürgerkrieg die braune Flut auch nach Mallorca überschwappen ließ, Holland und die Schweiz aus unterschiedlichen Gründen auch nicht mehr als Fluchtpunkt in Frage kamen, blieb Beatrice und Albert Vigoleis Thelen nur noch das Exil in Portugal. In der Ausgabe der Briefe an Teixeira de Pascoaes (2000 im Weidle Verlag erschienen) ist den ursprünglich auf Spanisch, später auf Portugiesisch geschriebenen (und von Ulrich Kunzmann ins Deutsche übersetzten) Briefe Thelens an sein portugiesisches Idol ein Auszug aus der unveröffentlichten Pascoaes-Biographie vorangestellt ( Die geweiste Flucht ).

Hier schildert Thelen anschaulich und spannend, wie er und Beatrice an dem bedeutungsvollen Datum des 1. September 1939 (Überfall auf Polen!) auf dem Landsitz der Pascoaes ankommen, das ihnen bis zu ihrer Rückkehr nach Holland (1947) zur neuen Heimat wird. Dies allein schon macht die Lektüre dieses Bändchens interessant. Aber auch die Briefe Thelens an seinen portugiesischen Meister sind ein bewegendes und aufschlussreiches Dokument nicht nur einer deutsch-portugiesischen Freundschaft der ganz besonderen Art, sondern auch der Nöte der Literaten in Kriegs- und Nachkriegszeiten. Hier erfahren wir aus direkter Quelle, was es bedeutet, einen so schwierigen wie genialen Autor wie Pascoaes den Verlegern schmackhaft zu machen.

So heißt es in Thelens Brief aus Amsterdam vom 31.5.1952: „Bisher haben 12 Verlage den Napeoleon gelesen; sie halten das Buch für ein außergewöhnliches, großartiges usw. Werk, doch sie haben nicht den Mut, es herauszubringen: zu schwierig.“ Und in einem weiteren Brief kurz vor dem Tod des verehrten Meisters heißt es: „Gestern hat mir ein Hamburger Verleger den Napoleon begeistert zurückgegeben, der jedoch für das breite Publikum zu schwierig sei.“

Nun, es mussten noch mal 45 Jahre ins Land gehen, bis ein deutscher Verlag, in diesem Falle wieder der Weidle Verlag, es gewagt hat, das Werk Pascoaes' über den Korsen herauszubringen. Es ist mit 500 Seiten eine wunderbare Lektüre für lange Winterabende für denjenigen, der sich für große historische Figuren und ihre originelle Deutung interessiert, in diesem Fall als „Spiegel des Antichrist“. Pascoaes' Prosa in der kongenialen Übersetzung von Thelen ist anschaulich und lebendig und dürfte den Lesern von Lobo Antunes eher als leichte Kost erscheinen.

Peter Koj

Albert Vigoleis Thelen, Briefe an Teixeira de Pascoaes . Aus dem Spanischen und Portugiesischen übersetzt von Ulrich Kunzmann. Weidle Verlag. Bonn 2000. € 19,00

Teixeira de Pascoaes, Napoleon. Spiegel des Antichrist. Aus dem Portugiesischen übersetzt und mit einem Text über Pascoaes von Albert Vigoleis Thelen. Weidle Verlag. Bonn 1979 € 29,00