Buchtipp des Monats – Mai 2012

Fernando Morais, Der Magier. Die Biographie des Paulo Coelho.

Aus dem Brasilianischen (sic!) von Karin von Schweder-Schreiner und Maralde Meyer-Minnemann . Diogenes Verlag 2010. € 15,-

Ich bin am selben Tag wie Paulo Coelho geboren (24.8.), eine numerische Koinzidenz, die zu den schönsten Spekulationen à la Coelho Anlass geben könnte. Wenn ich schon nicht Mitglied des geheimnisvollen R.A.M.-Ordens bin, in dem Coelho als Ritter fungiert, so sollte ich doch zumindest der weltweit größten Leser-Fangemeinde angehören (pünktlich zu Coelhos 60. Geburtstag wurde die 100 Millionen-Marke verkaufter Bücher durchbrochen!). Doch auch davon kann keine Rede sein. Ich habe zwei, drei Bücher des brasilianischen Autors gelesen bzw. angelesen, darunter Der Fünfte Berg . Doch Coelhos von Esoterik und Mystik wabernde Welt, dargeboten in einer künstlerisch wenig gestalteten Schreibe, ließen mich ziemlich kalt.

Dasselbe kann ich nicht von der Coelho-Biographie und ihrem Autor Fernando Morais sagen. Dieser ist selbst ein erfolgreicher Journalist und Romanschriftsteller (im Gegensatz zu Coelhos Romanen sind seine Romane fast alle verfilmt worden). Besonders in Deutschland bekannt geworden ist sein Roman Olga (die deutsche Übersetzung von Sabine Müller-Nordhoff erschien 1989 im Volksblatt Verlag), in der er der deutschen Kommunistin Olga Benario, die in Brasilien als Ikone verehrt wird, ein Denkmal setzt. Sie war die Frau des sagenumwobenen Cavaleiro da Esperança („Ritter der Hoffnung“) Carlos Prestes, der in den 20er Jahren mit einer Freischärlertruppe erfolgreich gegen die heraufkommende Diktatur kämpfte. Er starb 1990 im hohen Alter von 92 Jahren. Olga jedoch, obwohl schwanger, wurde 1936 nach Deutschland verschleppt und im Vernichtungslager Bernbruck umgebracht.

Die Frage drängte sich mir also auf: Wie kommt ein politisch engagierter Publizist (Coelho nennt ihn selbst einen Marxisten) dazu, nachdem er das Leben dieser tapferen Kämpferin für die gerechte Sache so bewegend dargestellt hat, die Biographie eines Mannes zu schreiben, der zwar auch in jungen Jahren die Tortur der brasilianischen Geheimpolizei zu spüren bekam, zwar nicht aus politischen Gründen, sondern wegen seines antibürgerlichen Lebensstils, inzwischen aber auf der Welle seines schriftstellerischen Erfolgs reitet und von den Großen dieser Welt hofiert wird?

Nun, bei der Lektüre der Biographie fand sich eine für mich überraschende und faszinierende Antwort auf diese Frage, immerhin so faszinierend, dass ich die 700 Seiten ohne Unterbrechung lesen musste: Morais hatte Dispens, die Vita des Erfolgsautors schonungslos in all ihren Niederungen und Niedrigkeiten darzustellen. Das reicht von den Irrungen und Wirrungen des Heranwachsenden, seinen Depressionen, seiner Paranoia, dem Alkoholgenuss (unter dessen Einfluss er einen Neunjährigen fast totgefahren hätte) bis zum Drogenmissbrauch und Sex. Aber auch der spätere Weg zum literarischen (und finanziellen!) Erfolg ist mit wenig edlen Steinen gepflastert. In seinem Ehrgeiz scheute Paulo Coelho nicht vor dubiosen Praktiken (Fälschungen, Plagiaten, Knebelverträgen) zurück, die ihn weniger als edlen Ordensritter, sondern eher als skrupellosen „Kotzbrocken“ erscheinen lassen.

Es ist die große Kunst seines Biographen, dass der Leser, angewidert von all diesen Scheußlichkeiten, das Buch nicht gleich wieder aus der Hand legt, sondern durch die locker-offene Darstellung, die durchmischt ist mit einem guten Schuss Ironie, in seiner Leselust eher angestachelt wird. Zumal man durch die Fülle des Materials stets das Gefühl hat, hier wird nicht geflunkert, sondern hier ist mehr als gründlich recherchiert worden. Karin von Schweder-Schreiner hat sogar noch einige für den deutschen Leser weniger interessante Details herausgefiltert. Trotzdem bringt es der von ihr übersetzte Teil auf ca. 500 Seiten, während es Maralde Meyer-Minnemann oblag, den Schlussteil von ca. 200 Seiten zu übersetzen, in dem der unaufhaltsame Aufstieg des Schriftstellers Paulo Coelho dargestellt wird. Eine sinnvolle Arbeitsaufteilung, wie ich meine. Denn Maralde Meyer-Minnemann ist – sieht man mal von Der Alchimist ab – auch die Übersetzerin aller bisher auf Deutsch erschienenen Romane.

Von Peter Koj