Buchtipp des Monats Oktober 2013 (2)

Von Peter Koj

Korruption auf brasilianisch

Wir sind durch Patrícia Melos frühere Romane ( O matador vorgestellt in Portugal-Post 10 , Wer lügt gewinnt und Inferno ) bereits gewohnt, das moderne Brasilien in all seinem sozialen Elend und all seiner Brutalität schnörkellos-kaltschnäuzig serviert zu bekommen. In ihrem neuen Opus Ladrão de Cadáveres , in der Übersetzung von Barbara Mesquita als Leichendieb in diesem Jahr bei Klett-Cotta erschienen, ist die brasilianische Autorin zwar ihrem eruptiven, stakkatohaften Stil treu geblieben, es geht aber sehr viel differenzierter und weniger brutal zu. Kaltblütige Morde sind dieses Mal Fehlanzeige (es gibt nur einen tödlich Verunglückten und einen Selbstmörder, beide aus dem Drogenmilieu).

Von einem weiteren Selbstmord erfahren wir lediglich in einer Rückblende. Er ist aber indirekt Auslöser des Geschehens, um das sich der eigentliche Roman dreht. Die Selbstmörderin, eine junge Mutter, die in einem Call Centre arbeitet, wird von dessen Abteilungsleiter, dem Protagonisten des Romans, geohrfeigt, weil sie wegen eines Lippen-Piercings schlecht zu verstehen ist. Als sie sich Monate später das Leben nimmt, wird das dem Abteilungsleiter angelastet.

Die Kündigung in der Tasche, dreht er der „Anti-Stadt“ São Paulo den Rücken („Die Gegen-Stadt hatte mich in ein Gegen-Ich verwandelt“, S. 115) und zieht nach Corumbá im Pantanal unweit des Rio Paraguay. Hier geht es gemütlicher, „menschlicher“ zu. Wir werden zwar nicht Zeuge von Gewaltverbrechen, dafür blühen aber der Drogenhandel und die Korruption. Der Protagonist, eigentlich ein Gutmensch, kann hier seine menschlichen Qualitäten besser entfalten. Doch wie bei Voltaires Candide kann dies nicht verhindern, dass er von einer in die andere Falle tappt.

Die im Epilog gezeigte Idylle ist ebenfalls ganz in der Nachfolge des Voltaireschen Candide („ Il faut cultiver notre jardin “) und ebenso überraschend wie hinterhältig. Wie es zu dieser Wende kommt und wie eine besondere Variante der Korruption sich segensreich ausgewirkt hat, soll hier nicht verraten werden. Dem Rezensenten hat es jedenfalls sehr viel Spaß gemacht, nach der Gnadenlosigkeit der brasilianischen Großstädte der Autorin in den Sumpf des Pantanal zu folgen. Wie sagt der Protagonist ganz zum Schluss? „Es gibt nichts Schöneres als das Pantanal“.

Patrícia Melo , Leichendieb Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita . Cotta'sche Buchhandlung, Stuttgart 2013 € 18,95