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ESSA NOSSA DITOSA LÍNGUA XIII
Sprichwörter – Die Weisheit des Volkes (2. Teil)

Peter Koj

1. Teil

Nachdem wir ein leichtes Aufwärmtraining hinter uns gebracht haben, indem wir die beiden Hälften der in der letzten Ausgabe der Portugal-Post zitierten Sprichwörter zusammengefügt haben, sind wir besser darauf vorbereitet, die ursprünglich gestellte Frage zu beantworten: Was ist ein Sprichwort und inwiefern kann man von „Volksweisheit“ reden? Die allgemein Akzeptierte Definition eines Sprichwortes ist, dass es sich um einen moralischen Spruch handelt, der in wenigen Worten eine Haltung verallgemeinert, die vom Großteil eines Volkes getragen wird. Das Sprichwort unterscheidet sich, einerseits von einfachen Redensarten oder Gemeinplätzen, d.h. häufig wiederholte, triviale Formeln, und andererseits von historischen Aussprüchen oder literarischen Zitaten, vor allem aus der Bibel. Es ist in der Tat jedoch so, dass es eine gegenseitige Beeinflussung dieser verschiedenen Bereiche gibt, die es nicht immer erlaubt, genau zu definieren, was ein "richtiges" Sprichwort ist.

In Portugal hört man häufig Wendungen wie "Frechheit siegt", oder "Entweder...oder2 oder auch "Fass dir selbst an die Nase!", die trotz ihrer moralischen Aussage in verallgemeinerter Form nichts anderes als Gemeinplätze oder Ausdrucksformeln sind. Und wenn gesagt wird: "Ein Mann weint nicht", oder "Der Schein trügt", "Man kann nicht vorsichtig genug sein", oder "Das Alter kennt kein Mitleid" oder schließlich "Das Leben geht weiter", so handelt es sich zwar um Sentenzen, die sprachlich weiter ausgeführt sind und die "Wahrheiten" ausdrücken, welche von weiten Teilen der portugiesischen Bevölkerung getragen werden, die aber so banal oder trivial sind, dass es überzogen wäre, sie als "Sprichwörter" zu bezeichnen. Auf der entgegengesetzten Seite haben wir Sprichwörter, die einen gewissen literarischen Wert haben, wobei einige von ihnen sogar Zitate aus der Literatur sind, wie die berühmte Zeile von Camões "Es ändern sich die Zeiten und mit ihnen unsere Wünsche" und der international bekannte Spruch von Shakespeare "Better late than never/Besser zu spät als nie". In diesem Zusammenhang erzählt man sich in Deutschland die Geschichte von der Frau, die zum ersten Mal Goethes Faust im Theater sah und als sie danach von einer Freundin gefragt wurde, wie es war, machte sie ihrer Empörung Luft: "Goethe ist ein richtiger Faulpelz: Der Faust ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Sprichwörtern." Natürlich ist das weltweit am meisten gelesene Buch, die Bibel, der größte Lieferant von Sprichwörtern. Als Beispiel seien hier zitiert: "Wer Wind sät, erntet Sturm", "Die Letzten werden die Ersten sein", oder "Wer nicht arbeitet, soll nicht essen".

Historische und/oder geistreiche Sprüche reichern ebenso den portugiesischen Sprichwortschatz an, wie z.B. das berühmte "Aus Spanien (kommt) weder ein guter Wind (nämlich trockene Ostwinde) noch eine gute Hochzeit" (Anspielung auf die schlechten Partien, die portugiesische Adlige mit ihren spanischen Auserwählten gemacht haben). Und wenn heute der Freund eines guten Tropfens sich verteidigt indem er sagt: "Wer Wein trinkt, verschafft Millionen von Portugiesen Arbeit", weiß er nicht einmal, dass er einen Spruch der "damaligen Herrin", d.h. des Ex-Diktators Atónio Salazar zitiert. Andere sehr wichtige Bereiche für die Bildung neuer Sprüche und Sprichwörter sind Fernsehsendungen (z.B. "Da ist Musik drin" aus der Vaca Cornélia und "Das wäre aber nicht nötig gewesen" aus einem Programm von Herman José) und die Werbung. Es gibt Werbesprüche, die inzwischen sprichwörtlich geworden sind, z.B. "(Im Kreis/herum-) fahren heißt leben", "Es gibt immer ein unbekanntes Portugal, das Sie erwartet" (wobei letzterer Slogan auch aus der Zeit der "damaligen Herrin" stammt). Andererseits nutzt die Werbung Sprichwörter, um ihre "Botschaft" rüberzubringen. So startete Siemens in den 80er Jahren eine Werbekampagne, um ihre "sprichwörtliche Vertrauenswürdigkeit" unter Beweis zu stellen: jede Woche erschien ein neues Portrait einer bekannten Persönlichkeit, begleitet von einem Sprichwort, das am besten zu ihr/ihm passte, z.B. von einem Dr. João Sampaio, Rechtsanwalt (an der Karikatur war unschwer zu erkennen, dass es sich um Dr. Jorge Sampaio, den soeben wiedergewählten portugiesischen Staatspräsidenten, handelte), der am Telefon sagt: "Man muss (miteinander) reden, um sich zu verstehen".

Aber was lässt sich über die "Weisheit" von Sprichwörtern sagen? Wenn es überhaupt eine solche gibt, handelt es sich eher um eine handfeste, manchmal auch brutale und reaktionäre Weisheit, welche den harten Alltag des einfachen portugiesischen Volkes spiegelt. Z.B. "Bis zum Waschen der Körbe ist Weinernte", "Es gibt (so ein) Meer und (solch ein) Meer, es gibt Ausfahrt und Rückkehr", oder "Ein leerer Bauch kennt keine Fröhlichkeit", oder "Viel (Wein)Laub, wenig Trauben". Und wie soll man die große Zahl von frauenfeindlichen Sprichwörtern im Portugiesischen erklären, welche die Frauen nicht besser als Tiere behandeln? Um nur ein paar Beispiele zu zitieren: "Maultier und Frau brauchen den Stock, bzw. man muss sich vor ihnen in Acht nehmen"), "Frau, Pferd und Hund verleiht oder verschenkt man nicht", oder "Die Liebe der Frau und die Liebe des Hundes sind nichts wert, wenn du ihr/ihm nichts gibst" oder "Hüte dich vor dem Ochsen/Stier von vorne, dem Esel von hinten und der Frau von allen Seiten" etc. Wer sich solcher Sprichwörter als Stilmittel bedient, ist der neorealistische Schriftsteller Carlos Oliveira, der in seinem Roman Eine Biene im Regen zig Sprichwörter direkt oder in einer Umschreibung gebraucht, um die düstere und deprimierende Atmosphäre eines ländlichen und rauen Portugals zu evozieren. Die reaktionäre Weisheit, die in Sprichwörtern zum Ausdruck kommt, erklärt sich aus der Tatsache, dass es sich um "versteinerte Formeln" handelt, auf die ältere Menschen zurückgreifen, um ihren Meinungen den Anstrich der "untrüglichen Norm" (Fernando Ribeiro de Mello) zu verleihen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass junge Leute Sprichwörter wenig gebrauchen, sie nicht kennen oder verabscheuen. Aber selbst in der Zeit. als Portugal jung und revolutionär war, das heißt während und gleich nach dem 25. April, gab es Sprichwörter, um den neuen Philosophien und Ideologien Ausdruck zu verleihen, z.B. "Wer nicht arbeitet, soll nicht essen", "Das Land (gehört) dem, der es bearbeitet", "In dem Haus, wo es kein Brot gibt, nörgeln alle und keiner hat Recht", "Wer Brot stiehlt, ist ein Dieb, stiehlst du eine Million, bist du ein Baron", "Die großen Diebe hängen die kleinen auf" etc.

Eine andere Tatsache, die uns an der Weisheit von Sprichwörtern zweifeln lässt, ist dass es Sprichwörter gibt, die genau das Gegenteil von anderen aussagen. Wer hat denn nun Recht, Die Portugiesen (und die Deutschen), wenn sie sagen "Aus den Augen aus dem Sinn" oder die Engländer, bei denen die Trennung/Abwesenheit die zärtlichen Gefühle eher wachsen lässt ("Absence makes the herart grow fonder")? Oder ist es gerade so, dass die widersprüchlichen Botschaften bestimmter Sprichwörter die Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz spiegeln und insofern weiser sind als ursprünglich angenommen.





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Portugal-Post Nr. 13 / 2001