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Die schönsten Fadotexte

Ausgesucht von Helge Dankwarth, übersetzt von Luise Albers und kommentiert von Peter Koj

Lissabon, Mädchen und junge Frau1

Auf der Burg2 stütze ich einen Ellenbogen.
In Alfama lasse ich den Blick ruhen.
So löse ich das Knäuel
Aus Blau und Meer.

An der Ribeira3 lehne ich den Kopf an.
Kopfkissen des Bettes Tejo
Mit eilig gesäumten Laken,
Im Batist eines Kusses.

Lissabon, Fräulein und Mädchen, Mädchen
Des Lichts, das meine Augen sehen, so rein.
Deine Brüste sind die Hügel, varina4.
Straßenruf, der mir Zärtlichkeit an die Tür bringt.
Stadt mit Hohlstich5 gestickt,
Decke am Meeresufer ausgebreitet,
Lissabon, Fräulein und Mädchen, Geliebte,
Stadt Frau meines Lebens

Auf dem Terreiro6 komme ich bei dir vorbei.
Aber von der Graça7 aus sehe ich dich nackt.
Wenn eine Taube dich anschaut, lächle.
Du bist eine Frau von der Straße.
Und in das höchstgelegene Stadtviertel des Traums
Lege ich den Fado, den ich zu erfinden vermochte.
Branntwein aus Leben und medronho8
Der mich zum Singen bringt.

Lissabon, in meiner Liebe liegend.
Stadt, von meinen Händen entkleidet.
Lissabon, Fräulein und Mädchen, Geliebte.
Stadt, Frau meines Lebens.


Text: Ary dos Santos
Musik: Paulo Carvalho9


1 Menina und moça sind fast bedeutungsgleich. Ary dos Santos bezieht sich hier auf den Beginn einer bekannten Romanze von Bernardim Ribeiro aus der Mitte des 16.Jh: Menina e moça me levaram de casa de minha mãe para muito longe...
2 Castelo S. Jorge
3 Tejoufer, insbesondere in der Nähe des Cais do Sodré mit seiner alten Markthalle (Praça da Ribeira), die heute mehr und mehr anderen Zwecken zugeführt wird (Trödelmärkte, Tanztees etc).
4 Varinas sind die Fischverkäuferinnen, die früher mit dem Korb (canastra) auf dem Kopf durch Lissabons Straßen zogen und ihre Ware mit melodiösen Rufen (pregões) anpriesen.
5 Nicht übersetzbarer Begriff: ponto luz spielt wohl auf ponto cruz (Kreuzstich) an. Es handelt sich aber nach Auskunft von D. Albertina Carvalho um einen besonders komplizierten und raffinierten Stich, den man nicht wie die üblichen Stiche auch im Dunkeln ausführen kann, sondern nur bei Licht (luz).
6 Terreiro do Paço nennen die Lissabonner noch heute gerne die Praça do Comércio, eine historische Reminiszenz an seine ursprüngliche Funktion: ein ungepflasterter (Sand)Platz vor dem Königspalast. Siehe dazu auch den Artikel von João Vares auf S.29 dieser Ausgabe.
7 Stadtteil oberhalb der Alfama (schön zu erreichen mit der Straßenbahn 28), von dem aus man einen guten Blick auf Lissabon hat. Besonders zu empfehlen die neuerdings für das Publikum geöffnete Dachterrasse des Bischofspalastes neben der Igreja S. Vicente de Fora.
8 Frucht des medronheiro, eines Strauchs, der bes. im Monchiquegebirge wächst (bzw. wuchs, wie man nach den verheerenden Bränden dieses Sommers sagen muss). Aus der Frucht wird der gleichnamige Schnaps gebrannt, ursprünglich eine Spezialität des Algarve, aber auch in Lissabon sehr beliebt, wo er ähnlich wie der bagaço (Tresterschnaps) gerne zur bica getrunken wird.
9 Der früh verstorbene Dichters José Carlos Ary dos Santos (1937-1984) hatte mit seiner politisch geprägten Lyrik einen starken Einfluss auf das Portugal der 60er bis 80er Jahre. Sein Lisboa menina e moça ist seine Liebeserklärung an Lissabon und gilt als eine Art "Nationalhymne" der Tejo-Metropole. Dazu hat wesentlich die Vertonung durch Paulo Carvalho beigetragen, der, aus der Rockszene der 60er Jahre (Sheiks) stammend, heute einer der beliebtesten Sänger Portugals ist, der sich in allen musikalischen Fahrwassern auskennt (Fado, Rock, Pop). Lisboa menina e moça ist ein fado corrido, die beschwingte Form des Fado, dessen Refrain gewöhnlich vom Publikum mitgesungen wird. In diesem Falle gibt es eine reizvolle Variante: es wird immer nur das jeweils letzte Wort jeder Refrainzeile mitgesungen: menina - tão pura - varina - ternura - bordada - estendida - amada. Also, prägen Sie sich diese 7 Begriffe schön ein, dann können Sie beim nächsten Fadokonzert auch mithalten.




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Portugal-Post Nr. 24 / 2003


Zeichnung von Joaquim Pais de Brito