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Buchrezension
Claus-Günter Frank, Lissabon.
Entdeckungen in Portugals Metropole

Von Peter Koj

Lissabon hat mit seiner morbiden Schönheit schon immer die Schriftsteller und Literaten aus aller Welt angezogen. Von den Engländern Robert Southey, William Beckford über die unzähligen Reiseschriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts bis zu den deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts (Stefan Zweig, Alfred Döblin, Thomas Mann, Hans Magnus Enzensberger). Ihre Eindrücke von der Tejo-Metropole hat Ellen Heinemann in dem hübschen kleinen Insel-Taschenbuch 2106 bereits 1997 zusammengetragen.

Doch nun liegt seit April dieses Jahres ein literarischer Reiseführer der besonderen Art vor. Claus-Günter Frank, von Haus aus Mathematik- und Physiklehrer, zuletzt im deutschen Auslandsschuldienst an der Deutschen Schule Rom tätig, hat bereits im Jahre 2000 sein hoch gelobtes und inzwischen vergriffenes Buch Rom. Literarische Spaziergänge durch die Hauptstadt der Welt herausgegeben. Sozusagen als Auftakt zu seinem Lissabonführer, Reminiszenz seiner Tätigkeit an der deutschen Schule Lissabon (1981-86). Unterstützt von einer weiteren ehemaligen Lehrkraft dieser Schule, der Romanistin Brigitte Barcklow, hat er eine große Fülle von Material zusammengetragen. Hier kommen all die modernen Schriftsteller zu Wort, die bei Ellen Heinemann keinen Eingang gefunden haben. Ein besonders dichtes Bild ergibt sich von den deutschen Exilliteraten, für die Lissabon ein Hafen der Zuflucht vor den Nazis war. Es kommen aber auch sehr viel mehr portugiesische Autoren zu Wort, inklusive der Wahlportugiese Antonio Tabucchi, dazu Dänemarks Hans Christian Andersen, dessen 200. Geburtstag wir dieses Jahr feiern und dem es in Portugal gut ergangen ist.

Der weitere große Vorteil dieses neuen Lissabonführers liegt darin, dass all diese Quellen zu verschiedenen thematischen Rundgängen geordnet und zusammengestellt wurden (Lissabon und seine Hügel, Lissabon und seine Alfama, Lissabon und seine Straßenbahn, Lissabon und seine Azulejos, u.a.), wobei der 8. und letzte Rundgang Sintra vorbehalten ist. Die dabei angesteuerten Örtlichkeiten erhalten durch die literarischen Zeugnisse eine sehr viel tiefere Dimension und Anschaulichkeit als in den Beschreibungen der üblichen Reiseführer. Als Beispiel sei nur Miguel Torgas beklemmende Darstellung des Aljube-Palastes genannt, in dem auch Mario Simmels Held Thomas Lieven (Es muss nicht immer Kaviar sein) einige Wochen schmachten musste und an dem der Tourist auf dem Weg von der zum Castelo S. Jorge normalerweise achtlos vorbeitrottet, wenn er sich nicht gerade mit der Straßenbahn 28 hinaufkutschieren lässt.

Für die Vorbereitung der von mir im letzten Mai geführten literarischen Besuchsreise des Literaturhauses Hamburg (dazu der Bericht von Birgit Kraatz in der Portugal-Post 27) hätte mir Claus-Günter Franks Buch viel Arbeit ersparen können. Doch obwohl wir bei der Wahl der Örtlichkeiten und Autoren zu sehr ähnlichen Ergebnissen gekommen sind, sind die von uns gesetzten Akzente doch sehr unterschiedlich. Auf der von mir geleiteten Reise waren die Örtlichkeiten eher "Vorwand" oder Anlass, in das Werk verschiedener portugiesischer Autoren einzuführen (Lobo Antunes, Bocage, Camões, Eça, Lídia Jorge, Inês Pedrosa, Pessoa, Cardoso Pires, Saramago). Im neuen Lissabonführer steht die Literatur nicht im Vordergrund, sondern dient eher als Einführung zu verschiedenen Lissabonner Schauplätzen, die literarisch und historisch von Bedeutung sind.

Dass die vorgegebenen Routen nicht sklavisch eingehalten werden müssen und können, versteht sich von selbst. Selbst ein ausdauernder Stadtindianer dürfte Mühe haben, z.B. den ersten Rundgang mit all der anregenden Lektüre an einem Tag zu schaffen. Ein alphabetisches Register (S. 275 f.) ist da eine große Hilfe, auch mal zu springen und sich einzelne Rosinen herauszupicken. Es bietet sich sogar an, nach der Heimkehr oder vielleicht schon auf dem Rückflug die Kapitel nachzuholen, die vor Ort zu lesen man keine Zeit gefunden hat. Oder sich das eine oder andere Buch anzuschaffen und zu lesen, das sich in dem ausführlichen Autorenverzeichnis findet. Zusätzlich würden wir gerne die von mir bereits vorgestellten Titel sehen wie Robert Wilsons Tod in Lissabon (in Portugal-Post 23, dort auch meine Lese-Tipps: Bücher, die durch Lissabon führen), dazu die in der Portugal-Post 28 besprochenen Neuerscheinungen (Bodo Kirchhoff, Wo das Meer beginnt und Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon), sowie einige der von mir im Merian-Heft Lissabon auf S. 113 vorgestellten Titel. Dies ließe sich leicht in einer zweiten Auflage bewerkstelligen, die wir diesem wunderbaren Band wünschen. Dann ließen sich auch gleich ein paar kleine Ungereimtheiten ausbügeln, die sich gerade im Belém-Kapitel finden, die aber die Verdienste des Buches in keiner Weise schmälern. Und vielleicht könnte man den all-gegenwärtigen Reinhold Schneider ein wenig kürzen, der mit seinen schwiemeligen Romantisierungen teilweise in gefährliche Nähe zur Ideologie des Estado Novo Salazars gerät und viele moderne Lissabonbesucher nicht sonderlich ansprechen dürfte.

Fazit: ein großartiger Lissabonführer, der in das Gepäck eines jeden Reisenden gehört, für den Portugals Metropole mehr als eine bloße location für Shopping und Bummeln ist. Das Buch umfasst 285 Seiten, ist gebunden mit Schutzumschlag und im Klöpfer & Meyer Verlag zum Preis von € 24,- erschienen (ISBN 3-937667-68-7).





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Portugal-Post Nr. 31 / 2005